Fachtagung: Ausgeschult

Rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Für Eltern ist es zumeist mit verstörenden Erfahrungen verbunden, wenn ihr Kind zeitweise oder gar dauerhaft vom Schulbesuch ausgeschlossen wird und so die bestehende Schulpflicht außer Kraft gesetzt wird. Dem geht zumeist eine lange Vorgeschichte mit schulischen Problemen, Schulwechseln, Elterngesprächen und so weiter voraus. Dabei wird das Handeln der beteiligten Institutionen – Schule, Beratungs- und Förderzentrum, Schulamt, Kinder- und Jugendpsychiatrie – von den betroffenen Eltern oft weniger als Kooperation zugunsten des Kindes denn als das Abschieben von Verantwortlichkeit wahrgenommen. Dieses Fazit zog Dr. Dorothea Terpitz anhand von aktuellen Fällen aus Hessen in ihrem Vortrag bei der Fachtagung „Ausgeschult. Inklusion für alle Schülerinnen und Schüler ermöglichen!“ der Gruppe InklusionsBeobachtung (GIB) am 22. Juni in Frankfurt.

Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hessen, stellte in ihrer Begrüßung klar, dass sich die 2012 in GIB zusammengeschlossenen Organisationen weiterhin für eine umfassende Realisierung des Menschenrechts auf inklusive Bildung einsetzen und sich dabei nicht von der verstärkten Inklusionskritik, wie sie beispielsweise von der FAZ betrieben wird, beirren lassen. Zur GIB gehören neben Gemeinsam leben Hessen e.V. und der GEW Hessen auch die Landesschülervertretung, der Landesbehindertenrat, der elternbund hessen und der Landesausländerbeirat.

Im weiteren Verlauf der Fachtagung ging es vor allen darum, wie ein Ruhen der Schulpflicht vermieden werden kann, um dem formulierten Ziel einer inklusiven Bildung für alle Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Rund 60 Eltern, Lehrkräfte, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Teilhabeassistentinnen und -assistenten waren trotz Rekordtemperaturen von 40°C zusammengekommen, um Erfahrungen auszutauschen und zu diskutieren.

Albert Claßen, Hauptschullehrer und Rektor a.D., stellte das Trainingsraum-Programm vor, das in modifizierter Form in vielen Schulen angewendet wird und einen formalisierten Umgang mit Unterrichtsstörungen vorsieht. Kommt es zu einer wiederholten Störung, wird der Schüler oder die Schülerin in den Trainingsraum entsendet, wo das Geschehen aufgearbeitet und ein Rückkehrplan erstellt wird. Die Erfahrungen mit dem Programm zeigten auf, so Claßen, dass dadurch das Unterrichtsgeschehen stark entlastet und das Klassenklima deutlich verbessert werden können.

Anschließend informierten sich die Teilnehmenden der Fachtagung in zwei parallelen Arbeitsgruppen zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeit und mit Autismus. Jochen Raue, der als Kinderpsychotherapeut arbeitet, machte sich für einen intensiven Austausch zwischen Therapeutin oder Therapeut sowie Lehrkräften stark und legte dar, dass die therapeutische Arbeit erfolgreich verlaufen kann, dafür aber ausreichend Zeit benötigt wird. Dr. Monika Lang, die das Institut für Rehabilitationspsychologie und Autismus an der Justus-Liebig-Universität Gießen leitet, beschäftigte sich aus medizinischer Sicht mit dem Thema Autismus. Darauf aufbauend stellte sie Handlungsempfehlungen zur Gestaltung der schulischen Situation vor. Zum Abschluss der Fachtagung führte der im Vorjahr an der Reformschule Kassel entstandene Kurzfilm „Vision Inklusion“ anschaulich vor Augen, dass Inklusion gelingen kann und so von allen Beteiligten als Bereicherung empfunden wird.

Fundierte Informationen über das Ausmaß von Ausschulungen in Hessen hatte eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Gabi Faulhaber (DIE LINKE) versprochen. Die vom Kultusminister am 13. Juni vorgelegten Daten zum Ruhen der Schulpflicht wegen „Schulunfähigkeit und bei Gefährdung des Unterrichtsbetriebs“ nach Artikel 65 Absatz 2 des Hessischen Schulgesetzes erscheinen allerdings wenig verlässlich, denn die Schulämter haben anscheinend nur einen Teil der realen Fälle erfasst (1). So zählte das Schulamt Frankfurt für das Schuljahr 2016/2017 nur 21 Fälle eines vorläufigen Ruhens der Schulpflicht und keinen einzigen Fall eines dauerhaften Ruhens. Der einzige vom Schulamt Gießen angegebene Fall wird in der Antwort des Ministeriums unterschiedlichen Schuljahren zugeordnet.

Wenngleich die angegebenen Zahlen als wenig verlässlich eingeschätzt werden müssen, erlauben sie dennoch einige vorsichtige Schlussfolgerungen. In den meisten Fällen scheint sich ein vorläufiges Ruhen der Schulpflicht über einen längeren Zeitraum zu erstrecken: Von den für das Schuljahr 2015/2016 ausgewiesenen insgesamt 88 Fällen erstreckten sich 72 auf mehr als vier Wochen. Ein erneutes Ruhen scheint hingegen seltener vorzukommen, denn ein solches wurde in diesem Schuljahr nur sechs Mal gezählt. Ein dauerhaftes Ruhen der Schulpflicht wird vier Mal ausgewiesen. Belastbarer als die absoluten Zahlen dürfte aber die Beobachtung sein, dass das Problem der Ausschulung sowohl an allgemeinen Schulen, insbesondere an Gesamtschulen und an Haupt- und Realschulen, als auch an Förderschulen besteht. 

(1) Kleine Anfrage der Abg. Faulhaber (DIE LINKE) vom 30.3.2017 betreffend „Ruhen der Schulpflicht“ und Antwort des Kultusministers, Drucksache 19/4763