Inklusion im Fokus der Landtagsanhörung

Anhörung zur Novellierung des Hessischen Schulgesetzes am 8. Februar 2017

Im Oktober 2016 hatten CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Kultusminister Lorz einen Entwurf mit insgesamt 115 Änderungen am Schulgesetz vorgestellt. Es erschienen rund 50 Personen, um den Landtagsabgeordneten des Kulturpolitischen Ausschusses ihre Argumente vorzutragen und um auf Rückfragen der Abgeordneten einzugehen. Eingeladen waren beispielsweise die Vertretungen der Städte und Gemeinden, Eltern- und Schülervertretung, Lehrerverbände sowie Unternehmensvertreterinnen und -vertreter. Die meisten Anzuhörenden hatten die Möglichkeit genutzt, bereits im Vorfeld eine schriftliche Stellungnahme einzureichen, so dass dem Ausschuss über 500 Seiten vorlagen.[1] Aufgrund der vielen erschienenen Anzuhörenden, aber auch wegen zahlreicher Rückfragen der Abgeordneten, dauerte die Anhörung viereinhalb Stunden. Neben anderen Themen, wie der Ausgestaltung von Ganztagsschulen, des Verbots von Werbung an Schulen und der Berufsorientierung, standen insbesondere die geplanten Änderungen hinsichtlich der Inklusion im Mittelpunkt der Debatte.

Breits am Vortag hatten Landesschülervertretung, Landeselternbeirat, elternbund hessen e.V., Landesgruppe Hessen im Grundschulverband, Landesausländerbeirat Hessen und GEW Hessen von der schwarz-grünen Koalition mehr bildungspolitische Ambitionen gefordert. Maike Wiedwald, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen, kritisierte, dass Hessen mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht von der Stelle kommt: „Der Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz, der das Menschenrecht auf inklusive Bildung aushebelt, wird zwar neu formuliert, bleibt aber de facto bestehen. Weiterhin soll der Wunsch auf inklusive Beschulung von der Schulaufsichtsbehörde abgewiesen werden können. Es ist nicht absehbar, dass die neu im Schulgesetz verankerten ‚inklusiven Schulbündnisse‘ zu einem wirklich inklusiven Schulsystem führen werden. Auch wird das Versprechen der Koalition, das Dasein vieler Förderschullehrkräfte als ‚Wanderlehrerin‘ oder ‚Wanderlehrer’ zu beenden, nicht eingelöst.“

Ilse Marie Krauth, die der Landesgruppe Hessen im Grundschulverband vorsteht, wies darauf hin, dass mit der Novelle die Schulbezirksgrenzen für so genannte Standorte des inklusiven Unterrichts außer Kraft gesetzt werden sollen: „An den Grundschulen ist gemeinsames Lernen die Normalität. Nun sollen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Rahmen der ‚inklusiven Schulbündnisse‘ auch an andere Schulen geschickt werden können. Dadurch müssen sie unter Umständen nicht nur einen längeren Schulweg in Kauf nehmen, sie werden auch aus ihrem sozialen Umfeld gerissen. Das widerspricht unseren Vorstellungen von inklusiver Beschulung und letztlich dem Auftrag der UN-Behindertenrechtskonvention.“

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sich die Kommunen, wenn sie Inklusion hören, in erster Linie um ihre Finanzen sorgen. So betonte Matthias Drexelius, der als erster Anzuhörender für den Hessischen Landkreistag sprach, dass zusätzliche Kosten, die durch die Umsetzung der Inklusion bei den Kommunen als Schulträger anfallen, im Rahmen des so genannten Konnexitätsprinzips vom Land zu erstatten seien. Andere Anzuhörenden stellten hingegen die Hürden auf dem Weg zur Verwirklichung des Menschenrechts auf inklusive Bildung in den Mittelpunkt. So stellte Jan Voß, in Übereinstimmung mit dem Grundschulverband, für den elternbund hessen fest, dass der Entwurf den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention nicht genügt – nicht zuletzt, da der Ressourcenvorbehalt, aufgrund dessen der Wunsch nach inklusiver Beschulung abgelehnt werden kann, weiterhin Bestand hat.

Im Verlauf der Anhörung legte Mathias Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dar, dass die so genannten inklusiven Schulbündnisse auf die Entwicklung von Schwerpunktschulen zielen. Weder im Gesetzestext noch in der vorgelegten Gesetzesbegründung ist das so eindeutig formuliert. Beispielsweise im benachbarten Bundesland Rheinland-Pfalz habe man, so Mathias Wagner, gute Erfahrungen mit Schwerpunktschulen gemacht. Für die GEW Hessen legte Christoph Baumann dar, dass Hessen mit der Neuregelung des inklusiven Unterrichts 2011 den falschen Weg eingeschlagen hat, indem das insgesamt positiv zu bewertende Modell des „Gemeinsamen Unterrichts“ nicht fortgeschrieben wurde. Bestehende Standards, wie Doppelbesetzung und reduzierte Klassengrößen von maximal 20 Schülerinnen und Schülern, wurden damit über Bord geworfen. Er bewertete zudem die Steuerung der Inklusion durch die Beratungs- und Förderzentren (BFZ) sehr kritisch. Die nun vorgesehene Entwicklung von Schwerpunktschulen halte die GEW Hessen, wie auch der Grundschulverband, für den falschen Weg. Thomas Schwarz, der als Vertreter des Arbeitskreises der Direktorinnen und Direktoren hessischer Gesamtschulen an der Anhörung teilnahm, forderte eine sonderpädagogische Grundausstattung an allen Regelschulen. Dazu sollen Förderschullehrkräfte fest mit der vollen Stundenzahl an der jeweiligen allgemeinen Schule eingesetzte werden.

Mehrere Anzuhörende forderten auch die bessere Berücksichtigung von Teilleistungsstörungen ein. So wies Sabine Behrent für den Landesverband für Legasthenie und Dyskalkulie Hessen e.V. darauf hin, dass beispielsweise bislang ein Notenschutz für Teilleistungsstörungen in den Abiturprüfungen fehlt. Während sich viele Anzuhörende skeptisch zeigten, ob mit dem Konstrukt der inklusiven Schulbündnisse die Inklusion erfolgreich vorangebracht werden kann, betonten die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter von Ersatzschulen vor allen Dingen den Wunsch, dass sich Schulen in privater Trägerschaft an den inklusiven Schulbündnissen beteiligen können. In diesem Sinne äußerte sich sowohl die durch Kirchenrätin Sabine Langmaack vertretene evangelischen Kirchen in Hessen, wie auch Rolf Muster, der für den Arbeitskreis privater Förderschulen in Hessen sprach.

Es bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten des Hessischen Landtags die vielen im Rahmen der Anhörung vorgebrachten Argumente sorgfältig prüfen und im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsprozesses berücksichtigen – Anlässe für Korrekturen am vorgelegten Entwurf gibt es, wie aufgezeigt, mehr als genug.