Schlussfolgerungen der Gruppe InklusionsBeobachtung aus den Auswirkungen der Pandemie
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Die Corona-Pandemie hatte weitreichende Auswirkungen auf den Schulbetrieb. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik gab es vergleichbare, so lange anhaltende Einschränkungen. Diese reichten von kompletten Schulschließungen und der Verlagerung des Unterrichts in das häusliche Umfeld bis hin zum Unterricht in geteilten Gruppen im Rahmen des Wechselunterrichts. Im Sommer 2021 besteht endlich Hoffnung, dass sich die Situation in den Schulen wie auch gesamtgesellschaftlich nachhaltig verbessert. Gleichwohl besteht keine Gewähr, dass das Schuljahr 2021/2022 – wie von allen erhofft – nicht erneute durch die Pandemie massiv beeinträchtigt wird.
Die Gruppe InklusionsBeobachtung begleitet seit mehreren Jahren die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an den hessischen Schulen kritisch und konstruktiv. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Inkrafttretens der Konvention haben wir im Jahr 2019 – somit kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie – eine Bilanz gezogen. Das in Artikel 24 verbriefte Recht auf Zugang zu einem inklusiven und hochwertigen Unterricht, „gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben“, ist noch immer nicht für alle realisiert. Nach wie vor besucht der Großteil der Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf eine Förderschule, nicht den inklusiven Unterricht an einer allgemeinen Schule. Auch mangelt es aufgrund von fehlenden sächlichen und personellen Ressourcen allzu oft an den „angemessenen Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen“, wie auch an der „notwendigen Unterstützung innerhalb des allgemeinen Bildungssystems“ für Menschen mit Behinderungen. Die Verpflichtung, ein inklusives Bildungssystem „auf allen Ebenen“ zu schaffen, hat Hessen somit bislang nicht erfüllt.
Es wurde bereits vielfach darauf hingewiesen, dass unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie die bereits zuvor bestehenden Schwächen des Bildungssystems wie unter dem Brennglas zu Tage getreten sind. Das gilt auch für den immer wieder belegten Befund, dass das deutsche Bildungssystem bestehende soziale Ungleichheiten ausgesprochen stark reproduziert. Anstatt einen Beitrag zu deren Verringerung zu leisten, verstärkt es sie eher noch. Zudem steht außer Frage, dass die Chancen zur Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie in den Familien höchst ungleich verteilt waren und sind. Daher müssen wir leider davon ausgehen, dass insbesondere die Schülerinnen und Schüler mit ohnehin schlechteren Lernvoraussetzungen unter den pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs besonders stark gelitten haben. Erste wissenschaftliche Befunde, wie auch die unmittelbaren Rückmeldungen, die wir von Schülerinnen und Schülern, von Eltern sowie von Pädagoginnen und Pädagogen erhalten, bestätigen dies.
Die Umstellung des Schulbetriebs auf Distanzlernen und auf Wechselunterricht hat allerdings auch aufgezeigt, dass diese den einzelnen Schulen unterschiedlich gut gelungen ist. Schulen, die sich im Rahmen der Schulentwicklung deutlich in Richtung Inklusion bewegt haben, waren hierbei in vielerlei Hinsicht im Vorteil. Diese zeichnen sich unter anderem durch die Orientierung an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Einzelnen, innovative Unterrichtsformen, multiprofessionelle Teams und demokratische Mitbestimmung aus. Diese Elemente einer inklusiven Schulentwicklung sind offensichtlich auch für die Bewältigung anderer Herausforderungen, wie sie sich etwa im Zusammenhang mit der Pandemie stellten, hilfreich.
Vor diesem Hintergrund ziehen wir Schlussfolgerungen aus der Corona-Pandemie auf zwei Ebenen: Zum einen geht es kurzfristig um den Umgang mit den unmittelbaren Auswirkungen bezüglich des schulischen Lernens: Wie können gezielt und erfolgreich genau die Schülerinnen und Schüler unterstützt werden, auf die sich die Pandemie am stärksten negativ ausgewirkt hat? Da wir es aber bereits „vor Corona“ mit einem nicht-inklusiven Bildungssystem zu tun hatten, stellt sich darüber hinaus auch die Frage, welche mittel- und langfristig Lehren sich für die weitere Entwicklung des Schulsystems ziehen lassen. Denn für uns steht außer Frage, dass wir mehr wollen als eine Rückkehr zum schulischen Ist-Zustand vor dem Ausbruch der Pandemie.
Die Bundesregierung hat inzwischen ein „Aufholpaket“ beschlossen. Das Land Hessen will die in diesem Rahmen bereitgestellten Bundesmittel in Höhe von 75 Millionen Euro im Rahmen eines Landesprogramms mit dem (lächerlichen) Titel „Löwenstark – der BildungsKICK“ mit zusätzlichen Landesmitteln verdoppeln. Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob diese Mittel ausreichen werden: 150 Millionen Euro entsprechen angesichts einer Gesamtzahl von 810.000 Schülerinnen und Schülern nicht mehr als einer Summe von 185 Euro pro Kopf. Es geht aber jenseits der Frage von Ressourcen auch darum, auf welchem Weg die erforderliche zusätzliche Unterstützung realisiert wird. Dabei muss insbesondere Folgendes berücksichtigt werden:
Was die langfristigen Schlussfolgerungen anbelangt, sind noch weitere intensive Diskussionen zu führen. Zweifelsohne von Bedeutung sind für uns dabei auf jeden Fall die folgenden Gesichtspunkte: